12 Hürden auf dem Weg zur agilen Organisation

Die Welt wird immer komplexer. Daher setzen mehr und mehr Unternehmen auf agile Arbeitsweisen als Strategie zum Überleben in dieser VUCA-Welt. VUCA steht dabei für die wachsenden Herausforderungen Volatilität (volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity).

Agil zu arbeiten, bedeutet anpassungsfähig zu sein und flexibel auf diese Herausforderungen reagieren zu können. Eigenschaften, die heute das Überleben von Unternehmen sichern.

In diesem Beitrag zeigen wir Hürden und Herausforderungen auf dem Weg zur agilen Organisation auf, die in der Praxis häufig auftreten. Hürden, die nicht nur den Erfolg der agilen Transformation gefährden, sondern unbeachtet auch Teamgefüge und Organisationen destabilisieren.

Dabei konzentrieren wir uns auf die folgenden, aus unserer Sicht zwölf wichtigsten Hürden:

  1. Die Kultur passt nicht
  2. Fehlender Nährboden
  3. Die Realität sieht oft düster aus
  4. Ein Pionier des agilen Mindsets fehlt
  5. Die Führung nimmt ihre Aufgabe nicht an
  6. Konstruktive Fehlerkultur ist Mangelware
  7. Das ‚Warum‘ fehlt
  8. Keine oder falsche Regeln
  9. Meilensteine und Kriterien existieren nicht
  10. Fortschritte werden nicht erfasst (oder gemessen)
  11. Der Faktor Mensch
  12. Teams bleiben hinter ihren Möglichkeiten (oder Potenzialen)

Was also ist zu beachten, damit die agile Transformation nicht im Chaos endet?

Hürde 1: Die Kultur passt nicht

Auch wenn viele Unternehmen bereits auf Scrum, Kanban, SAFe und andere agile Frameworks setzen: Das agile Mindset ist noch lange nicht in den Köpfen aller Mitarbeitenden und Entscheidern angekommen. Zusammen mit den im agilen Manifest beschriebenen Werten und Prinzipien definiert sich die agile Kultur vor allem über das nötige Mindset.

Die agile Kultur ist das Fundament, auf dem agile Strukturen entstehen. Ist sie vorhanden, sind Teams und ihre Menschen aus sich heraus intrinsisch motiviert und übernehmen Verantwortung für ihre Arbeit und das Ergebnis. Sie vertrauen in die Wertschätzung der eigenen Leistung und sprechen Missstände sowie Fehler offen an. Sie organisieren sich und ihre Arbeit selbstständig und fokussieren ihr Tun an dem größten Nutzen für ihre Kunden.

Hürde 2: Fehlender Nährboden

Oft äußern Führungskräfte, dass sie sich überfordert fühlen in ihrer neuen Rolle. Neben dem Finden des eigenen Selbstverständnisses sind sie vor allen anderen die Treiber der kulturellen Veränderung. Sie sollen mit gutem Beispiel voran gehen, ein neues Rollenverständnis etablieren, die agilen Werte vorleben und ein starkes, visionäres Leitbild vermitteln.

Gewohnte Pfade zu verlassen, bedeutet auch, aus der Komfortzone herauszutreten. Ein großer Schritt für Führungskräfte, die ohne begleitendes Coaching häufig in die Rolle des Weisungsgebers zurück verfallen. Was dann passiert, ist nicht schwer zu erraten: Mitarbeitende erledigen nur die Aufgaben, mit denen sie explizit beauftragt wurden, erfüllen sie nach alter Manier und folgen ihren gewohnten Verhaltensmustern.

Sich nach agilen Arbeitsweisen zu organisieren, bedeutet noch nicht, die agilen Werte auch verstanden zu haben und den nötigen Nährboden für den Mut und das Vertrauen in die eigenen Entscheidungen vorzufinden. Die Aktivitäten des Tages im Daily Standup zu besprechen und die Arbeit in einem Kanban Board zu organisieren, sind der einfachste Teil der agilen Transformation. Den richtigen Nährboden für den agilen Kulturwandel zu schaffen, ist der Wichtigste.

Nur wenn Sie selbstverantwortliches Handeln gezielt fördern, Menschen befähigen und eine offene Fehler- und Feedbackkultur vorleben, wachsen echte agile Strukturen.

AgileTransformation

Hürde 3: Die Realität sieht oft düster aus

Selbstorganisiert und im engen Austausch mit ihren Kunden sind agile Teams in der Lage, kontinuierlich Wertschöpfung zu generieren und sich schnell auf neue Gegebenheiten einzustellen. Dafür organisieren sie sich oft um Produktgruppen in kleinen, interdisziplinären Teams, zusammengestellt aus Menschen, die sämtliche für die Zielerreichung benötigten Kompetenzen und Fähigkeiten besitzen – so die ideale Welt.

In der Realität zeigt sich die Kehrseite der Medaille. Die ‚menschliche Ressource‘ entwickelt sich zum gleichberechtigten Partner auf Augenhöhe. Statt Anweisungen einfach zu folgen, äußert sie Kritik und gibt offenes Feedback. Kontroverse und Diversität lösen aufgrund gelebter Agilität (scheinbare) Konformität und Konsens ab. Obwohl dies wertvolle Eigenschaften im Rennen um die besten und kreativsten Lösungen sind: Die Beteiligten müssen den Dissens auch aushalten und kultivieren.

Die Herausforderungen der agilen Zusammenarbeit sind ebenso komplex wie die Welt, für die sie erdacht wurde. Hier helfen traditionelle Herangehensweisen leider genauso wenig wie das Festhalten an hierarchischen Strukturen, die mit langen und trägen Kommunikationswegen einhergehen und als Folge das agile Vorgehen untergraben.

Hürde 4: Falsches Rollenverständnis bei Führungskräften

Im neuen Rollenverständnis hat der so genannte Servant Leader die Aufgabe, agile Teams zu befähigen ihre gesetzten Ziele zu erreichen. Er besitzt die erforderlichen Techniken und Kompetenzen, um als Pionier des agilen Mindsets die agile Kultur auszubilden und die Transformation erfolgreich voran zu bringen.

Die Rolle des Servant Leader hat wenig mit dem klassischen Vorgesetzten zu tun. Er führt nicht an, sondern befähigt Teams ihre Aufgaben zu erfüllen. Empathie, Empowerment und ‚Deep Listening‘ sind nur eine kleine Auswahl an Fähigkeiten, mit denen Servant Leader ihren Teams zum Erfolg verhelfen.

In der Praxis sind es oft die Führungskräfte der alten Liga, die – mit Zertifikaten wie Scrum Master, Product Owner und RTE (Release Train Engineer) ausgestattet – die agile Transformation vorantreiben sollen. Auf den ersten Blick scheint dies ein guter oder zumindest nachvollziehbarer Schritt zu sein. Nur fehlt es besagten Managern oft am erweiterten Verständnis für die tieferen Zusammenhänge der Agilität.

Hier ist ein echter Paradigmenwechsel erforderlich. Dieser ist eben nicht in einem 2-Tages-Kurs zum Scrum Master oder Product Owner enthalten.

Wie agil ist Ihr Führungsstil? Hier kommen Sie zum Agilitätscheck.

Ein falsches oder mangelhaftes Führungsparadigma behindert nicht nur die agile Transformation, sondern manifestiert auch ein falsches Bild von Agilität bei den Mitarbeitenden. Manche Menschen entwickeln mit der Zeit eine regelrechte Aversion gegen Agilität und bilden bewusst oder unbewusst eine Opposition zum agilen Wandel aus.

Unternehmen, die sich erst Hilfe holen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, müssen viel Zeit und Geld investieren, um den Schaden wieder gut zu machen. Je früher Sie gegensteuern, desto schneller und effektiver können Sie Missstände aufdecken und gezielt beheben.

Wenn mit dem Wandel nicht das Chaos einziehen soll, sind begleitend zur agilen Transformation professionelle Coaching-Angebote eine lohnende Investition.

Hürde 5: Veraltete Kommunikationsstrukturen behindern den agilen Wandel

Ein starkes Leitbild und intensive Kommunikation sind wesentliche Bestandteile jedes guten Change-Managements. Dadurch bauen Mitarbeitende das Vertrauen in die Transformation und ihre eigenen Entscheidungen auf und handeln selbstverantwortlich und im Sinne des Unternehmenswohls.

Neben einem visionären Leitbild und klaren Zielen sollte auch das ‚Warum‘ transparent werden: Warum ist die Veränderung wichtig für unser Unternehmen? Ist der Sinn verstanden, lassen sich Mitarbeitende einfacher bewegen, den Wechsel aktiv mitzugestalten.

Eine transparente Kommunikation fördert auch die agile Kultur. Der offene Umgang mit Fehlern sowie Feedback steigern das Vertrauen der Mitarbeitenden in die neue, agile Kultur. Die Kommunikation positiver Resultate erhöht zudem die Motivation.

Besonders in der Transitionsphase ist es sehr förderlich, mit Mitarbeitenden in den Dialog zu gehen. Viele Themen und Probleme werden erst im direkten Zwiegespräch angesprochen, so dass sich der scheinbare Mehraufwand schnell auszahlt.

Hürde 6: Konstruktive Fehlerkultur ist Mangelware

Der Future Organization Report 2019 der Universität St. Gallen und des Instituts für Wirtschaftsinformatik hat Erfolgsfaktoren und Hürden für die agile Transformation untersucht.

Der Report zeigt, dass jeder Zweite Probleme und Schwierigkeiten im Unternehmen nicht offen ansprechen kann. Noch trauriger sieht es mit dem Vertrauen aus, Kollegen aktiv um Hilfe zu bitten. Nicht einmal jeder Fünfte glaubt, dies ohne Konsequenzen tun zu können.

Laut der Studie sehen viele eine Gefahr in der erhöhten Transparenz. Sie befürchten, dass mit der offenen Kommunikation darüber, wer wann woran arbeitet, ein unerwünschter Kontrollmechanismus einziehen könnte – unter dem Deckmantel der Agilität.

Bedenken, die sich in Gesprächen mit Betroffenen immer wieder zeigen, und denen Sie mit klaren Antworten in der Vision und den Zielen begegnen sollten.

Hürde 7: Das ‚Warum‘ fehlt

Egal wie schnell das Auto fährt: Kennt der Fahrer nicht seinen Zielort oder den Weg dorthin, erreicht er sein Ziel niemals.

So wie das Navigationsgerät den Fahrer führt, orientieren sich Teams und Mitarbeitende in agilen Organisationen am Leitbild. Das Leitbild beschreibt den höheren Sinn, den Purpose – es vermittelt Werte, Vision und Ziele.

Alle Menschen suchen Sinn in ihrem Tun. Tätigkeiten, die uns sinnlos erscheinen, fallen nicht selten der Prokrastination zum Opfer. Das ‚Warum‘ lässt uns für die Sache brennen, gibt uns Motivation morgens aufzustehen und in die Arbeit zu fahren.

Durch ein gutes Leitbild entwickeln Menschen ein Verständnis für das große Ganze und lassen sich für ihre Arbeit begeistern. In agilen Organisationen ist es der zentrale Steuerungsmechanismus.

Hürde 8: Keine oder falsche Regeln

Selbstorganisierte Teams benötigen neben einem Leitbild auch Regeln der Zusammenarbeit. Wer schon mal in einer WG gewohnt hat, der kann sich sicher vorstellen, wie die Küche nach ein paar Tagen aussieht, wenn nicht geregelt ist, wann sie von wem und in welcher Qualität gereinigt werden soll.

Ebenso gibt es auch in agilen, selbstorganisierten Teams Aufgaben, die weniger beliebt sind. Je nach eingesetztem Framework achten hier Scrum Master oder Agile Coach wie ein Schiedsrichter beim Fußball auf die Einhaltung der gemeinsam definierten Regeln der Zusammenarbeit.

Hürde 9: Meilensteine und Kriterien existieren nicht

Viele Unternehmen starten ohne konkrete Meilensteine und klare Kriterien für die Zielerreichung in die agile Transformation. Fehlen diese Erfolgskriterien, bleiben Unternehmen leicht in einer Zwischenphase stecken.

Die Arbeit wird zwar nach agilem Vorgehen strukturiert, aber Entscheidungen beispielsweise nach wie vor zentral getroffen. Infolge dessen bleiben dann nicht nur ein vertrauensvolles Umfeld und damit das Erblühen der agilen Kultur Wunschdenken, sondern die agile Transformation an sich wird in Frage gestellt. So sind es gerade die flexiblen Entscheidungsmechanismen der agilen Methoden, die in der VUCA-Welt einen Vorteil darstellen.

Hürde 10: Fortschritte werden nicht erfasst (oder gemessen)

Eine konsequente Einführung agiler Strukturen benötigt eine Roadmap mit messbaren Ergebnissen. Dabei geht es nicht nur um den Prozessfortschritt, sondern viel mehr um den angestrebten Effekt, das eigentliche Ziel des agilen Wandels.

Sinnvolle KPIs lassen sich einfacher bestimmen, wenn das ‚Warum‘ klar ist. Ziele sollten erreichbar und realistisch definiert sein. Hier können Sie agil vorgehen und weiche Kriterien iterativ konkretisieren.

Hürde 11: Der Faktor Mensch

Es ist nicht zuletzt eine Frage des Charakters, ob und wie gut ein Team zusammenarbeitet. „One size fits all“ gibt es ebenso wenig bei Kleidung wie bei der Wahl der richtigen Führungsmethode.

Nicht jeder ist bereit Verantwortung zu übernehmen. Während die einen ihr volles Potenzial erst im selbstbestimmten Arbeiten entfalten, tun sich andere schwer damit, ihre Arbeit selbst zu organisieren und suchen klare Vorgaben für ihr tägliches Tun. Zwingt man solche Menschen in agile Strukturen, drohen bestenfalls eine verminderte Arbeitsmotivation und im schlimmsten Fall der Verlust eines wertvollen Mitarbeiters.

Hürde 12: Teams bleiben hinter ihren Möglichkeiten (oder Potenzialen)

Einen guten Ansatz, um das ideale Team zu ermitteln, bietet Wardley Mapping. Dieser ermöglicht, Teams entsprechend ihrer Eigenschaften zusammenzustellen und die dafür geeignete Organisationsform zu identifizieren. Wardley klassifiziert Arbeitstypen und Teams in drei verschiedene Kategorien: Pioniere, Siedler und Städteplaner.

Die drei Team-Klassen unterscheiden sich in Kultur und in charakteristischen Arbeitsweisen. Diese sind nicht unbedingt kompatibel mit den jeweils anderen Teamkulturen. Sind die Teams richtig zusammengestellt und entsprechend ihrer Charakteristik auf die Aufgabenbereiche abgestimmt, erhöht das i.d.R. nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit. Viel mehr steigert es ganz nebenbei auch noch die Leistungsbereitschaft dieser Teams und die Qualität ihrer Ergebnisse.

Eine Chance für die Zukunft

Nachdem wir uns ausgiebig mit den Hürden und Stolpersteinen beschäftigt haben, noch ein paar Worte der Zuversicht.

Sobald es richtig verstanden ist, wird agiles Arbeiten von den meisten Menschen als Privileg empfunden. Es gibt dem eigenen Tun Sinn und sorgt für innere Befriedigung:

  • Die eigene Arbeit selbstbestimmt gestalten zu dürfen,
  • Wertschätzung für die eigene Leistung zu erfahren,
  • in einem vertrauensvollen Umfeld zu interagieren und
  • zu wissen, was der eigene Beitrag zum Gesamtergebnis beiträgt.

Daher zum Abschluss sechs Tipps, die ich Ihnen als agiler Coach mit langjähriger Erfahrung in diversen Unternehmen aller Größen und Länder, auf Ihrem Weg zur agilen Organisation mitgeben möchte:

  1. Das wichtigste zuerst: Überprüfen Sie die Kraft Ihres Leitbilds! Alle Mitarbeitenden sollten die Vision und Werte des Unternehmens kennen. Fordern Sie das Leitbild heraus. Stehen alle für die Werte ein und brennen für die Sache?
  2. Gehen Sie viel und oft mit Ihren Mitarbeitenden in den Dialog. Beleuchten Sie individuelle Glaubensbilder und Denkweisen. Wie agil sind die einzelnen Mitarbeitenden? An welcher Stelle der Transformation steht jeder für sich? Wo steht das Team als Ganzes?
  3. Überprüfen Sie, ob Teams oder Einzelne in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Hier ist ein bisschen Coachingtalent gefragt. Die richtigen Fragen regen zum Nachdenken an und unterstützen aktiv den Wandlungsprozess.
  4. Finden Sie heraus, welche Tools und Methoden die richtigen für Ihre Situation sind. Nur unter den passenden Bedingungen können Teams ihr volles Potenzial entfalten.
  5. Mut zur Veränderung! Der kontinuierliche Verbesserungsprozess, kurz KVP, sollte fester Bestandteil jedes agilen Teams sein. Für echte Veränderung muss es ein vertrauensvolles Umfeld geben, in dem sich Teams trauen mal was Neues auszuprobieren.
  6. Kooperationen suchen, Synergien schaffen. Setzen Sie da an, wo Agilität bereits gelebt wird. Verbreiten Sie gute Ergebnisse und sorgen Sie für kontinuierlichen Wissenstransfer. Zufriedene Mitarbeitende und erfolgreiche Teams sind die Missionare der agilen Kultur.
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